Text: STADT, LAND, FLUSS
Neue deutsche Fotografie zwischen Analyse, BedeutungsŸberschuss und Dekonstruktion

DRINNEN: GemŸtlichkeit, Arbeit, Klaustrophobie

Gaston Bachelards Verortung des Menschen in der Welt verdichtete sich in seiner "Poesie des Raumes" zu einem geradezu raum-euphorischen Konzept. In seinem Essay 'Das Haus. Vom Keller zum Dachboden. Der Sinn der HŸtte´ (1957) schreibt er dem Innenraum eine geradezu mystische Kraft als Wurzel menschlichen Seins zu: "Im Leben des Menschen schließt das Haus Zufälligkeiten aus, es vermehrt seine Bedachtheit auf Kontinuität. Sonst wäre der Mensch ein verstreutes Wesen. Es hält den Menschen aufrecht, durch alle Gewitter des Himmels und des Lebens hindurch. Es ist Körper und Seele. Es ist die erste Welt des menschlichen Seins. Bevor er "in die Welt geworfen wird", wie die eiligen Metaphysiker lehren, wird der Mensch in die Wiege des Hauses gelegt."

Eine fotografische Position, die im Hervorbringen ambivalenter Bildgehalte geeignet scheint, die Bachelardschen Thesen zugleich zu bestätigen als auch zu entkräften - darin charakteristisch fŸr die aktuelle Fotografie in ihrem Schwanken zwischen Registratur und Fiktion - ist die Arbeit des 1969 geborenen Fotografen Andreas Thein, der bei Bernhard Prinz und Volker Heinze in Essen studierte.

In seinen beiden Serien 'Fremdenzimmer´ und 'Eigenheim´ untersucht er Innenräume, denen er sich wie im Fall eines Privathauses, vom Keller, durch die labyrinthischen Verästelungen des Treppenhauses bis hoch in den Dachboden systematisch nähert. Dabei rŸckt nicht zuletzt die Markierung der Grenze zum Außen ins Bild, die Thein mitfotografiert - den Fensterrahmen, den Schrank, in dem Gegenstände des täglichen Lebens aufgehoben werden, die Begrenzungsmauern der Garage. Die 'Fremdenzimmer´ verlagern den Schwerpunkt des fotografischen Schauens in öffentliche bzw. halb- öffentliche Räume, wie etwa in einen Zoo oder der Besucherzelle eines Gefängnisses.

Thein gelingt es im scheinbar nŸchternen Registrieren, die unterschiedlichen Grade an Intimität, die diese verschiedenen Raumkonzepte ermöglichen und repräsentieren, vorzufŸhren. Das Wohnzimmer, ein Reich der Zeichen und der persönlichen Ordnungssysteme, steht der fast leeren, zweckorientierten Besucherzelle in der Justizvollzugsanstalt gegenŸber. Doch auch im Reich des scheinbar Persönlichen, dessen Klischees und Normierungen Thein heraus-arbeitet, gibt es Momente, in denen die Intimität sich als Trugbild erweist, so in den Motiven 'Durchreiche´, in denen das Fenster zur KŸche eher wie eine Trennwand; eine BŸhne zu funktionieren scheint, auf der die imaginären Protagonisten ihre Rollen einnehmen. Die Standardisierung der Lebenswelt in ihren Ritualen des Ordnens, Aufhebens und Verwaltens von Privatheit scheint den angestrebten "Intimitätswerten des inneren Raumes" die Bachelard beschwor, zu spotten.

Theins Raumerkundungen, in manchen Blickwinkeln gerade auf Keller und Garagen den klaustrophob-psychologisierenden Erkundungen eines Gregor Schneider nicht unähnlich - und auch in ihrer Konstruiertheit nicht fern -spŸren den mitunter zwang- haften Gehalten des Be-Hausens und Behaustseins nach und decken in (durchaus auch inszenierten) Motiven wie 'Glasschrank´ (2001) oder 'Weiße Wäsche´ (2001) in der formalen Strenge zugleich auch die biedere Enge jeden Ordnungsprinzips auf.
In der VerkŸrzung aller Räumlichkeit werden Schubladen und Schrankinterieurs zu Farbfeldern verkŸrzt und verweisen den Bereich der Alltagsästhetik ins Reich des Ästhetischen, des minimalistischen Bildes.

Magdalena Kröner, Kunstforum Band 179, 2006
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