VON KAMMER ZU KAMERA

Betritt man bei Santillana del Mar im Norden Spaniens das Museum der Altamira-Höhlen, steht da in großen Lettern an der Wand: 'Die Sixtinsche Kapelle der prähistorischen Kunst'. Tatsächlich sind die rund 15.000 Jahre alten Höhlenmalereien von einzigartiger Schönheit. Es ist naheliegend, daß sie Teil einer heute unbekannten kultischen Praxis waren. Die Verbindung von Kunst und Kult beziehungsweise Kunst und Religion ist so alt wie diese selbst. Die Säkularisierung, die Europa seit dem ausgehenden Mittelalter als fortschreitender Prozeß begleitet, lockert diese Bindung, löst sie aber nicht auf.

In der Romantik wird das Kunstwerk als Mittel religiöser Erfahrungen entdeckt. In der Malerei bedeutet dies allerdings nicht, daß das Dargestellte im Kontext biblischer Begebenheiten oder Motive stehen müßte. Wer als Betrachter vor einer erhabenen Landschaft aus der Hand von Caspar David Friedrich oder einem anderen Künstler der Zeit steht, erlebt in etwa das, was Rudolf Otto einhundert Jahre später, in 'Das Heilige' (1917) formulieren wird. Darin spricht der Theologe und Religionshistoriker vom Heiligen, als dem Numinosen und 'dem ganz Anderen'. Das religiöse Mysterium sei in seiner Wirkung vergleichbar dem Schrecken und Schauder (tremendum), sowie der Verzauberung oder dem feßelnden Geheimnis (fascinans).

Während sich das Sakrale auf der Bildebene im 19. und 20. Jahrhundert rar macht, wirkt es an anderer Stelle umso stärker. Etwa in der gesellschaftlichen Funktion einer als außergesellschaftlich und zweckfrei gedachten Kunst. Oder in der Inszenierung und Stilisierung des Künstlers als Schöpfer oder Märtyrer. Und lernt nicht schon das Kind, wenn es mit Mama und Papa die heiligen Hallen der Kunst besucht, daß man die Werke nicht berühren darf. Noli me tangere, heißt es in der Bibel.

Die Distanz, die Tabuisierung des Habtischen, Physischen zu Gunsten eines Ideellen, sind Mittel der Bedeutungßteigerung. Das haben die Forscher von Altamira selbst schon bei den prähistorischen Höhlenmalereien festgestellt. Die finden sich nämlich nicht im vorderen, vom Tageslicht erhellten Teil der Höhle, wo sozusagen Alltag war, sondern in einem tiefer gelegenen dunklen Bereich.

So wird der Raum zum Trennmittel, zum Mittel der Differenzierung von Funktionen, von sozialen Schichten und Zuständigkeiten, zu einem Refugium der Zeit. Diese und andere Rätsel des Raums stehen im Zentrum der fotografischen Arbeiten von Andreas Thein (geb. 1969). Seit seiner ersten Werkgruppe, dem 'Eigenheim' von 2001, geht der Düßeldorfer Fotokünstler auf Suche nach Räumen, Kästen, Schachteln, Einblicken, Innenleben.

2008 hat der ehemalige Folkwang-Schüler erstmals das Objektiv seiner Planfilmkamera auf das Innere eines Tabernakels gerichtet. Was ihn daran intereßiert, ist nicht der womöglich prächtige Kelch, sondern der Raum in dem dieser aufbewahrt wird. Wie durch einen Fensterrahmen schaut man beim 'Tabernakel I', der auch in der Außtellung in der Festungskirche Ehrenbreitstein ausgestellt ist, in einen mit hellem Textil ausgeschlagenen Kasten. Hier ist nichts prunkvoll oder blendend. Die Zeit hat sich in die Materialien eingeschrieben.

Das fotografische Verfahren der Serie 'Sakraler Raum', von denen neun Arbeiten in der Festungskirche zu sehen sind, ist nicht neu. Es definiert alle bisherigen Arbeiten des in Düßeldorf lebenden Künstlers.

Andreas Thein macht außchließlich Raumbilder, die durch eine vorhandene Rahmung begrenzt werden und die dann, sozusagen zum natürlichen Rahmen der Fotografie werden. Immer ist der Blick der Kamera im rechten Winkel auf das Objekt gerichtet, stets sind die Objektgrenzen auch die Grenzen des Bildes, deßen Größe ebenfalls durch die Realität bestimmt wird. Die sich daraus ergebende ästhetik verleiht den Fotografien eine eindringliche Klarheit, eine Präsenz an der Grenze zur Dinglichkeit.

Doch was ist ein sakraler Raum? Breitet sich die Heiligkeit einer Hostie oder einer Reliquie wie ein un-bekanntes Fluidum in seiner Umgebung aus? Ist das Sakrale eine hierarchische Folge von Exklusionen, von sozialen wie räumlichen Abkapselungen beziehungsweise Ausgrenzungen, an deren Ende immer weniger Welt und mithin immer mehr Nicht-Welt bewahrt oder gar eingefangen wird? Ist das Sakrale das Ergebnis sich überlagernder Rituale, eine Balance von Paradoxien. So wie im Bild, das das Innenleben eines roten Meßkoffers zeigt. Beschwören dort nicht die Lücken und Leerstellen vielmehr jenes Andere, als es ein gefüllter Koffer jemals könnte. Exklusion und Inklusion, Abwesenheit und Anwesenheit, Darstellen und Selbstsein - mit diesen Gegensätzen umkreisen die meisterlichen Fotografien von Andreas Thein einen springenden Punkt Ð im Zentrum steht nicht nur die Frage nach dem Sakralen, sondern auch die, was Fotografie ist.

Lothar Schmidt
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